Autor
Wessela Krastewa
Artikel
Donnerstag 4 Dezember 2025 15:50
Donnerstag, 4 Dezember 2025, 15:50
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Die Proteste der Jugend. Gen Z gegen die Veteranen. Die jungen Menschen erhoben ihre Stimme gegen das Status quo – das sind nur einige der Überschriften in den bulgarischen Medien, die die Ereignisse im Land seit dem 26. November beschreiben. Zur Generation Z gehören Menschen, die zwischen 1997 und 2012 geboren wurden und nicht vom unterwürfigen Denken ihrer Großeltern geprägt sind. Es sind jene jungen Leute, die ihre Eltern bereits früher zu ähnlichen – und zugleich völlig anderen – Protesten begleiteten, im Kampf für Demokratie, Unabhängigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz in ihrer europäischen Heimat. Sie wurden zum Gesicht der zivilen Unzufriedenheit am 26. November und am 1. Dezember, ausgelöst durch den von der Regierung vorgelegten Staatshaushalt für 2026 – Bulgariens ersten Haushalt in Euro. Die aufgeflammte Empörung weitete sich jedoch zu einem Protest gegen das Status quo und das Fehlen eines funktionierenden Rechtsstaats aus.
Was die Medien im Land jedoch kaum zeigten, sind jene jungen Menschen, die ihre Position außerhalb der Landesgrenzen ausdrückten. Bulgaren im Ausland, die ebenfalls eine Stimme haben und gehört werden wollen.
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Einer von ihnen ist David Radoslawow aus Sofia. Er ist erst 18 Jahre alt, Erstsemester an der Universität Wien im Fach „Internationales Recht“. Am 1. Dezember um 18.00 Uhr ging auch er auf den Platz, um seine Bürgerposition zum Geschehen in Bulgarien zu äußern. Er tat dies 1.000 Kilometer von seinem Heimatort entfernt, auf dem Stephansplatz im Zentrum der österreichischen Hauptstadt – dort, wo die größte Protestaktion im Ausland stattfand, synchron zu den gesellschaftlichen Ereignissen in Bulgarien.
FOTO Privatarchiv
„Der Protest verlief nach meinen persönlichen Beobachtungen als der friedlichste Protest, an dem ich je teilgenommen habe – und ich bin seit 2013 gemeinsam mit meinen Eltern immer wieder bei Protesten dabei. Die bulgarische Gemeinschaft in Österreich sandte eine positive Energie und eine sehr klare Botschaft an die Bulgaren in Bulgarien. Nach meinem Kenntnisstand ist dies bislang der einzige größer angelegte Protest unter den Auslandsbulgaren. Ich hörte, dass es Demonstrationen in Frankfurt und London gab, doch diese waren eher einzelne Eigeninitiativen. Wir versammelten uns etwa 120 Menschen, einschließlich der Ausländer, die uns ebenfalls unterstützten. Unsere Freunde nahmen teil – österreichische Staatsbürger sowie Menschen aus der Ukraine, Georgien und anderen Ländern. Es waren insgesamt Bürger, die die Sache Bulgariens unterstützen – nämlich, dass es ein demokratischer und rechtsstaatlicher Staat wird.“
David war nicht nur Teilnehmer der Protestaktion, sondern gemeinsam mit Zwetomir Patarinski auch deren Organisator. Die Entscheidung dazu fiel spontan. Innerhalb weniger Tage beantragte und erhielt er die nötigen Genehmigungen und rief zu einem Protest zum Schutz der Rechte „der Bulgaren im Land, damit ihre Stimme gehört wird und der Haushalt zurückgezogen wird. Die Korruption soll enden und der gekaperte Staat darf nicht länger das Leben der Menschen ruinieren“.
FOTO Facebook /Keti Xania
Er betont, dass er parteilos ist und keine finanzielle Unterstützung von einer politischen Formation in Bulgarien erhält. „Das geschah ausschließlich aufgrund meiner persönlichen Bürgerposition“, sagte der junge Bulgare gegenüber Radio Bulgarien.
„Unsere erste Botschaft war der Rückzug dieses beschämenden Haushalts, der nach allen Kriterien – wirtschaftlichen, politischen und sozialen – völlig unangemessen ist. Unsere weitere Forderung war der Widerstand gegen die Korruption, die den Staat durchdrungen hat. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein mafiös-korruptes Modell weiter gestärkt wird, dass Menschen uns regieren, die nur an private Interessen denken und nicht an die Interessen der bulgarischen Bürger. Und wir wollten zeigen, dass die Bulgaren im Ausland genauso engagiert sind wie die Menschen in Bulgarien.“
Die Teilnehmer der Demonstration im Zentrum Wiens zeigten, dass das bulgarische Volk eine Zukunft hat und dass Bulgarien keine verlorene Sache ist, schrieb David Radoslawow in der Nacht des 1. Dezember auf Facebook.
„Ich persönlich, ebenso wie vermutlich alle anderen Studierenden und Bulgaren in Österreich, wollen ein Bulgarien sehen, in dem es europäische Einkommen gibt. Ein Bulgarien, in dem Gesetze eingehalten werden. Ein Bulgarien, in dem Korruption nicht gefördert, sondern äußerst streng bestraft wird. Ein Bulgarien, in dem Rechtsstaatlichkeit und Justiz in keiner Weise untergraben werden können. Ein Bulgarien, in dem die Menschen keine Angst haben müssen, ihre Bürgerposition zu äußern, eine eigene Meinung zu haben und sie zu verteidigen. Ein Bulgarien, in dem die Medien nicht kontrolliert werden und es Meinungsfreiheit gibt. Ein Bulgarien, auf das wir stolz sein können, weil wir bulgarische Bürger sind. In dem wir uns frei und unabhängig fühlen!“ Stolz ist das Gefühl, das David beim Anblick der Menschenmengen auf den Plätzen in Sofia, Plowdiw, Warna und anderen Städten des Landes in den Abendstunden des 1. Dezember empfand.
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„Ich bin unglaublich stolz auf diese Menschen und freue mich, dass sie in Bulgarien sind, dass sie für ihre Zukunft kämpfen wollen und dass sie selbst die Veränderung herbeiführen möchten, statt darauf zu warten, dass es jemand anderes tut“, gesteht der junge Mann.
Die junge Generation Bulgariens hat bereits gezeigt, dass sie bereit ist, das politische Geschehen mitzubestimmen, betont David Radoslawow. „Die junge Generation in Bulgarien, meine Generation, die man Generation Z nennt, hat gezeigt, dass sie bereit ist, für ihre Bürgerrechte zu kämpfen, dass sie diese verteidigen wird und dass sie niemandem mehr erlauben wird, die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen des Landes zu missachten. Alle Menschen, die an der Demonstration in Wien teilnahmen, kamen mit ihrer eigenen, persönlichen Bürgerposition. Ich habe mit jedem Einzelnen von ihnen gesprochen und bin der Meinung, dass die Menschen in Bulgarien die Chance haben sollten, ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Die politischen Parteien sind erschöpft, und genau deshalb haben sie Angst vor uns.“
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David Radoslawow ist skeptisch, dass ein möglicher Misstrauensantrag gegen die Regierung im Parlament Erfolg haben wird. Doch er erklärt seine Bereitschaft, im Zentrum von Wien erneut einen Protest zu organisieren – aus Unterstützung für ein solches Vorhaben. Denn die Stimme der jungen Bulgaren muss gehört werden, unabhängig davon, wo sie sich gerade befinden.
Übersetzung: Lyubomir Kolarov
Gestaltet von Lyubomir Kolarov