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Bulgaren demonstrieren massiv gegen das bestehende Regierungsmodell

Donnerstag, 11 Dezember 2025, 12:58

Bulgaren demonstrieren massiv gegen das bestehende Regierungsmodell

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Wir wollen Veränderung! Wir protestieren für eine bessere Gegenwart! Rücktritt! …“

Tausende Bulgaren füllten die Plätze in Sofia und den großen Städten des Landes und forderten den Rücktritt der Regierung sowie den Ausstieg von Deljan Peewski und Bojko Borissow aus der Macht. Die Protestwelle überschritt die Landesgrenzen: Auch in vielen europäischen Städten hielten Landsleute Plakate gegen Korruption und das Regierungsmodell in der Heimat hoch – ein Beweis dafür, dass der Unmut nicht lokal begrenzt ist, sondern Teil eines breiteren zivilgesellschaftlichen Impulses unter Bulgaren weltweit.

Seit 36 Jahren wollen die Bulgaren Demokratie und Wandel, wurden jedoch immer wieder getäuscht. Genug ist genug!“

Die Generation Z machte ihren Unmut über die aktuelle Lage offen deutlich.

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Wir sind hier, weil wir Veränderung und Reformen wollen, damit Bulgarien endlich aufhört, der ärmste Staat Europas zu sein. Wir protestieren gegen die Unempfindlichkeit unserer Politiker. Dieses Mal spüre ich eine andere Energie – viel mehr Menschen kommen, ich habe Hoffnung. Sollte es Neuwahlen geben, werde ich auf jeden Fall abstimmen. Dieses Mal glaube ich, dass die Mobilisierung der Wähler positive Veränderungen bringen kann“, sagte Zwjatkow gegenüber dem Bulgarischen Nationalen Rundfunk.

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Es muss einen radikalen Wandel geben. Diese Menschen müssen endlich verstehen, dass wir sie nicht wollen, dass sie gehen müssen und dass die jungen Menschen eine Stimme bekommen. Heute kann man dank der modernen Medien diese Bürgerbewegung nicht mehr manipulieren oder verstecken“, so Lili Zenowa.

Die Regierung hat den moralischen Kredit der Bürger verspielt. Viele fordern nun vorgezogene Wahlen mit hoher Beteiligung, um eine wirklich legitime Mehrheit zu schaffen, denn das derzeitige Parlament wurde im Oktober 2024 mit einer Wahlbeteiligung von nur 38 Prozent gewählt.

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Ich billige weder die aktuelle Regierungsführung noch bestimmte Personen – wir kennen sie alle. Ich sehe keine Entwicklung im Land. Ich arbeite im Kulturbereich, und wir sind dort, wie man im Jargon sagt, ‚die letzte Geige‘. Das gesamte politische Modell muss sich ändern – diese Elite muss gehen. Wenn die Regierung fällt, hoffe ich auf neue, angemessene Wahlen, eine kontrollierte Maschinenauszählung und darauf, dass die Menschen bereit sind, zu fairen Wahlen beizutragen“, sagte Wolen Wladow.

Ein Protest, der über Parteien hinweg vereint

Ausgelöst durch den Entwurf für den Haushalt 2026 und organisiert von der Oppositionskoalition „Wir setzen die Veränderung fort–Demokratisches Bulgarien“, wuchs die Kundgebung zu einem überparteilichen Protest an. Die landesweite Unzufriedenheit vereinte verschiedene Generationen. Viele kamen voller Zuversicht, mit Musik, Performances und in friedlicher Atmosphäre.

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Wir sind mit unserem fünf Monate alten Baby und unserer vierjährigen Tochter hier. Die Großeltern sind auch auf dem Platz, also kann niemand auf sie aufpassen. Wir sind hier, weil wir Bulgarien lieben und bleiben wollen. Aber mit diesem seit Jahren bestehenden Regierungsmodell sehe ich kein Zukunft für meine Kinder. Wir stehen hier, weil wir ein normales europäisches Land wollen – mit guter Bildung, guter Infrastruktur, guten Verkehrs- und Gesundheitsstrukturen … Derzeit lässt alles viel zu wünschen übrig. Aber ich weiß, dass sich das ändern kann, weil so viele junge Menschen bleiben und diese Veränderung wollen“, sagte Johanna Trajanowa.

FOTO Weneta Nikolowa

Die Politologin Darija-Lora Datschewa sieht in der neuen Dynamik „eine gesunde Abkehr vom Fatalismus“. Akademiemitglied Iwan Itschew ergänzte:

Dies ist kein gewöhnlicher Protest für 50 oder 100 Lewa mehr im Gehalt. Dies ist ein Protest gegen die Moral der bulgarischen Politiker. Es geht nicht nur ums Geld, sondern um Werte. Die Menschen wollen nicht mehr arrogant und ungestraft belogen werden. Es hat sich ein Gefühl angesammelt, dass jegliche Grenzen überschritten wurden.“

Analysten sind sich einig: Das Ausmaß der Unzufriedenheit verkürzt den politischen Horizont der Regierung. Ob sie unter dem Druck der Proteste fällt, bleibt abzuwarten.

Die Regierungsparteien GERB, BSP und ITN, unterstützt von DPS–Neuanfang, betonen jedoch, sie würden keine Destabilisierung „nur wenige Meter vor der Ziellinie“ zulassen, nämlich vor der Einführung des Euro.

Bojko Borissow sagte vor Journalisten im Parlament:

Der Beitritt zur Eurozone ist eine geostrategische Aufgabe. Ich werde nicht zulassen, dass dies wegen innenpolitischen Auseinandersetzungen gefährdet wird.“

Er erklärte zudem, dass er die Stimmen der Menschen auf der Straße höre und bereit sei, nach dem 1. Januar über Rücktritte und Neuwahlen zu sprechen:

Ich hoffe, dass jeder Bulgare bald problemlos Euro am Geldautomaten abheben kann. Das ist das große Ziel, das niemand sabotieren darf“, so Borissow.

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Proteste im Ausland – vor allem junge Bulgaren sind aktiv

Vor der Wiener Oper versammelten sich mehr als 150 Bulgaren, organisiert von zwei Studenten, dem 18-jährigen Dawid Radoslawow und Zwetomir Patarinski.

Diese Menschen mit ihren Fahnen und Plakaten wollten klar zeigen, wie sehr sie sich vor der Vulgarität und der in Bulgarien wütenden Mafia ekeln. Ich habe schon die Proteste 2020 hier in Wien organisiert, und diesmal ist die Generation eine andere. Sehr junge Leute, die ihre Transparente selbst angefertigt. Sie zeigten auf die bestmögliche Weise, wie sehr sie sich ein anderes Bulgarien wünschen. Ich bin Optimistin, aber auch müde. Seit 1989 protestiere ich. Und ich frage mich: Warum sollte es diesmal anders sein? Ich weiß nicht, wie es ausgeht. Aber ich bin auf den Platz gegangen, um diese jungen Menschen zu schützen – damit man sie nicht erneut belügt, wie 2013 und 2020“, sagte Marijana De Meo.


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Kundgebungen gab es auch in Berlin, London, Barcelona, Brüssel, Den Haag, Zürich, Stockholm und anderen Städten.

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Übersetzung: Rossiza Radulowa